Urteil: ungerecht: Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt by Thorsten Schleif

Urteil: ungerecht: Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt by Thorsten Schleif

Autor:Thorsten Schleif [Schleif, Thorsten]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Political Science, Public Policy, General
ISBN: 9783745308150
Google: 7M6YDwAAQBAJ
Amazon: 3742311506
Herausgeber: Riva Verlag
veröffentlicht: 2019-10-14T19:38:16+00:00


Kapitel 4: Faule Millionäre?

Ein Traum für Antiquitätenhändler

Justus war bereits seit drei Jahren als Rechtsanwalt tätig, als er sich entschied, in den Richterdienst einzutreten. An seinem ersten Tag im Landgericht musste er feststellen, dass in seinem Büro keine Gesetzestexte vorhanden waren. Er erkundigte sich bei der Gerichtsverwaltung. Dort sagte man ihm, dass erst zum Jahreswechsel neue Gesetzbücher bestellt werden können. »Wir haben Juni!«, entgegnete Justus. »Wie soll ich bitte ohne Gesetzbücher die nächsten sechs Monate arbeiten?« Er erhielt nur ein Schulterzucken als Antwort. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die von ihm benötigten Gesetzestexte von seinem ersten Gehaltsvorschuss zu bezahlen.

Veraltete Computer, veraltete Drucker, veraltete Fachliteratur. Die Ausstattung deutscher Gerichte ist auf der ganzen Linie mangelhaft. Mitunter führt die mangelhafte Ausstattung der Justiz zu peinlichen, sogar lächerlichen Situationen: Vor kurzer Zeit musste im Rahmen einer öffentlichen Sitzung die Aufzeichnung einer Überwachungskamera »in Augenschein« genommen werden – wie es in Juristendeutsch heißt. Die Polizei hatte die entsprechende Videoaufzeichnung gesichert und eine DVD mit der Aufnahme der Gerichtsakte beigefügt. Leider war der Computer in dem Gerichtssaal, der an diesem Tag zur Verfügung stand, nicht mit einem CD/DVD-Laufwerk ausgestattet, sodass die DVD nicht im Saal abgespielt werden konnte. Ich hatte vor einigen Jahren bereits auf dieses Problem hingewiesen und bei der Behördenleitung angeregt, ein externes DVD-Laufwerk an den PC anzuschließen.

Der damalige Behördenleiter erklärte jedoch, dass die Anschaf-fungskosten hierfür (immerhin fast 30 Euro) zu hoch wären. Mir blieb in der Situation nichts anderes übrig, als den Gerichtssaal zu 110

Von Bienen, Ameisen und Antiquitätenhändlern wechseln. Zum Glück hatte mein Kollege seine Sitzung in dem anderen Gerichtssaal, der über einen PC mit DVD-Laufwerk verfügt, mittlerweile beendet. Natürlich wechselte nicht nur ich den Gerichtssaal, sondern auch die Protokollführerin, die Staatsanwältin, der Angeklagte, der Verteidiger, zwei Zeugen und fünf Zuschauer. Dieser Umzug dauerte etwa 15 Minuten: Der Schlüssel für den Saal musste beschafft, das Computersystem in dem anderen Sitzungssaal hochgefahren und – zur Wahrung der Öffentlichkeit – eine Mitteilung an dem anderen Saal über die Ver-legung der Sitzung angebracht werden. Lässt man die Zuschauer und den Angeklagten außer Acht, wurden durch diesen notwen-digen Saalwechsel insgesamt 90 Minuten Arbeitszeit (6 Personen x 15 Minuten) verschwendet. Bei einem durchschnittlichen Stundenlohn von 20 Euro hätte sich die Anschaffung eines externen DVD-Laufwerkes bereits für diesen einen Termin gelohnt!

Häufig genug stehen nicht einmal die Standardkommentare der Gesetzestexte auf dem neuesten Stand zur Verfügung. In einigen Landgerichten ist es Sitte, dass fast ausschließlich Kammervorsitzende neue Gesetzeskommentare erhalten. Die veralteten Kommentare werden dann an den weiteren Planrichter in der Kammer weitergegeben. Der Planrichter gibt seinerseits die bereits veralteten Kommentare an den Proberichter der Kammer weiter. Über die »Sonderbehandlung« der Proberichter hatte ich bereits berichtet, oder?

Auch elektronisch können Richter nicht ausreichend auf juristische Datenbanken und Fachliteratur zugreifen. Wenn ich nach Urteilen, Aufsätzen und Kommentaren in der den Richtern in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellten Online-Datenbank suche, lautet die häufigste Meldung: »Das gewünschte Dokument ist leider nicht von Ihrem Abonnement umfasst.«

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Kapitel 4: Faule Millionäre?

Ohnehin ist der Austausch von Wissen nicht unbedingt etwas, das Gerichtsverwaltungen großschreiben. Dies schreckt vor allem



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